Rushhour des Lebens

Aktuelles aus der Kampagne

Dieser Newsletter widmet sich dem Thema Vereinbarkeit Familie, Pflege und Beruf und nimmt dabei neben der „Rushhour des Lebens“ weitere Phänomene in den Blickwinkel, die gute Konzepte in der Praxis erfordern, welche sich auf die Vereinbarkeit und somit positiv auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden auswirken.

Als „Rushhour des Lebens“ wird in der Familienforschung die Lebensphase zwischen 25 und 45 Jahren bezeichnet, in der für viele Menschen eine exorbitante Arbeitsbelastung und eine Häufung zentraler Entscheidungen zu Beruf, Wohnort, Partnerwahl, Heirat oder Kindern auftreten (Bujard & Panova, 2014). Besonders intensiv ist diese Phase zum einen für Akademiker, die innerhalb einer kurzen Zeitspanne von fünf bis sieben Jahren oft gleichzeitig Entscheidungen zu Berufseinstieg und Karriereaufbau sowie zu gemeinsamem Haushalt, Ehe und Familiengründung treffen müssen sowie zum anderen in der Familienphase. Mit kleinen Kindern ist die Belastung durch Berufs- und Familienarbeit besonders intensiv, was sich quantitativ in der beruflichen und familiären Arbeitszeit sowie in persönlichen Konflikten, beiden Lebensbereichen gerecht zu werden, zeigt (ebd.).

Zeitbudgetstudien zeigen, dass die Gesamtarbeitszeit pro Woche (berufliche Arbeitsstunden + Hausarbeit + Kinderfürsorge) bei Müttern von Kindern unter drei Jahren im Durchschnitt bei 57 Stunden liegt (Deutscher Bundestag, 2006). Auch Väter, die mit kleinen Kindern zusammen im Haushaltleben, sind ebenso davon betroffen. Ihre Gesamtarbeitszeit von Beruf und Haushalt liegt in Deutschland bei 58 Stunden, wobei sich die Aufteilung zwischen Berufs- und Familienarbeit bei Müttern und Vätern unterscheidet (ebd.). Bei Alleinerziehenden potenziert sich folglich der Anteil der Gesamtarbeitszeit erheblich.

Doch auch weitere individuelle Lebensphasen und Bedürfnislagen sind bei der Betrachtung eines Gleichgewichts in der Lebensgestaltung zu berücksichtigen, wenn die Rushhour des Lebens noch keine Rolle oder keine Rolle mehr spielt. Einen ebenfalls hohen Anteil am Pflegepersonal, mit steigender Tendenz, macht nämlich die Gruppe der 50- bis 60-Jährigen aus (siehe Abbildung), die nicht selten in die Betreuung und Pflege ihrer Angehörigen eingebunden ist (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020). Auch außerhalb von Fürsorgepflichten gewinnt die Orientierung hin zu einer ausgewogenen Freizeitgestaltung und Gesunderhaltung (Work Life Balance) mehr und mehr an Bedeutung.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich daher in den vergangenen Jahrzehnten von einem randständigen Thema in der betrieblichen Praxis und Forschung zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor von Unternehmen entwickelt und ist als Konsequenz in den Fokus der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion gerückt. (vgl. Gerlach & Schneider, 2012).

 

In Deutschland gibt es verschiedene Gesetze, um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu ermöglichen und die Situation für Familien mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen zu verbessern: das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG). Jüngst beschloss das Bundeskabinett am 8. Juni 2022 einen Gesetzesentwurf, um die europäische Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige in deutsches Recht umzusetzen und so z. B. künftigauch Kleinbetriebe mit einzubeziehen (vgl. Bund Verlag, 2022).

Die sechs Säulen des Pflegepersonalstärkungsgesetzes (PpSG), welches 2019 in Kraft trat, sah u. a. finanzielle Unterstützungsformen für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser vor, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für ihre Pflegekräfte zu verbessern.

In der Umsetzung setzt das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) zusammen mit Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) darauf, Familienfreundlichkeit zu einem Markenzeichen zu machen. In einem Leitfaden für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung im Krankenhausstellt das BMFSFJ in fünf Schritten vor, wie Vereinbarkeit im Krankenhausgefördert werden kann (BMFSFJ, 2022).

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kooperiert mit dem Unternehmensnetzwerk Erfolgsfaktor Familie und führt in regelmäßigen Abständen Informationsveranstaltungen zur Vereinbarkeit durch (DKG, 2022). Zudem wurde eine gemeinsame Broschüre mit Best Practice aus Krankenhäusern veröffentlicht. Diese „Wegweisenden Modelle zur Weiterentwicklung der Pflege im Krankenhaus“ stellen Umsetzungsmöglichkeiten in vier Bereichen vor:

·      Neue Arbeitsteilung und Prozessgestaltung

·      Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf

·      Lebensphasengerechtes Arbeiten in der Pflege

·      Konzertierte Aktion Pflege (KAP).

 

Viele Krankenhäuser bieten ihren Mitarbeitenden ein breites Spektrum an Unterstützungsangeboten. Dies umfasst beispielsweise betriebliche Kinderbetreuung, familienfreundliche Arbeitszeitgestaltung, Wiedereinstiegsprogramme nach Elternzeit oder vermehrt auch Unterstützungsmaßnahmen für Mitarbeiter-/innen mit pflegebedürftigen Angehörigen (DKG, 2022). In diesem Newsletter stellen wir ein „Gutes Beispiel“ aus dem Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) vor.

Die Geschäftsstelle GAP - „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf“, ein Projekt der Bevollmächtigten der Bundesregierung für Pflege, stellt in einem Gastbeitrag den aktuellen Stand des GAP Projektes vor. Das Ziel des Projektes GAP, welches 2021 startete, ist es, bundesweit mindestens 750 ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtungen dabei zu unterstützen, die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten hinsichtlich der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf zu verbessern. Dabei umfasst das Projekt eine einrichtungsindividuelle Bedarfsanalyse, bei der eventuelle Handlungsbedarfe beispielsweise bei der Dienstplanerstellung oder der Kommunikation aufgedeckt werden und gemeinsam mit speziell geschulten Projekt-Coaches verbessert werden sollen.

So einfach geht´s: Bei Interesse an einer Projektteilnahme, kann die Anmeldung über die Webseite www.gap-pflege.de erfolgen. Anschließend nimmt die Geschäftsstelle GAP Kontakt zu Ihnen auf. Weitere Infos finden Sie im Gastbeitrag.

Ein weiterer Gastbeitrag kommt vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), welches ihr Kooperationsprojekt "Arbeiten 5.0 - Bessere Work-Life-Balance für Hamburger Pflegefachpersonen“ und ihr besonderes Engagement für ihre Mitarbeitenden vorstellt.

 

Rückblick „Gute Beispiele – Gute Pflege“ 2021

Das Monatsthema „Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ wiederholt sich on diesem Jahr zum ersten Mal - für das Kampagnenteam ein willkommener Anlass einen Rückblick vorzunehmen. So fragten wir nach bei den DRK Kliniken Berlin Köpenick, was aus dem „Guten Beispiel – Gute Pflege 2021“ und dem Erfolgskurs ihrer Dienstplan App und dem Springerpool geworden ist und zitieren gern an dieser Stelle:

„Wir sind fortlaufend dabei, das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzutreiben. Mittlerweile ist der Springerpool auf insgesamt 49 Mitarbeiter*innen angewachsen, davon sind 8 Mitarbeiterinnen im sich seit 2021 im Aufbau befindlichen Intensiv-/IMC-Springerpool. Der Springerpool inhouse bleibt also eine Erfolgsgeschichte und ist eine Alternative zum Leasingeinsatz. Zudem steht das „Projekt Kindertagesstätte am Standort“ vor der Realisierung. Dieses ist für alle Berufsgruppen/Beschäftigten nochmals ein deutliches Zeichen in Richtung Vereinbarkeit von Familie/Beruf in der nächsten Zeit.“ (Maja Schäfer, Leitung Strategisches Recruitment, DRK Kliniken Berlin, Tel.: 030 / 3035 – 5370, Mail: m.schaefer@drk-kliniken-berlin.de)

#PflegeJetztBerlin reagiert darauf mit einem „Chapeau“! Großartig, wir freuen uns über diese nachhaltigen Anstrengungen, die ein so wichtiger Beitrag in puncto Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sind und somit ein wichtiger Faktor für die Fachkräftesicherung in Berlin!

 

Konkrete Projektarbeit

#PflegeJetztBerlin beteiligte sich aktiv an der Petition „Alarmstufe ROT – Krankenhäuser in Gefahr“ und nahm am 29.September 2022 an der Pressekonferenz der BKG am St. Hedwig Klinikum teil, um die extremen Kostensteigerungen, welche die Krankenhäuser in eine wirtschaftliche Schieflage bringen, anzumahnen. "Alarmstufe ROT!", das riefen immer wieder die Beschäftigten der Berliner Krankenhäuser. Nach der Pressekonferenz der BKG schoben etwa 500 Mitarbeiter-/innen einen Rettungswagen zum Bundesgesundheitsministerium. Die Botschaft: Ohne Hilfe der Politik wird es Insolvenzen geben und wird die Versorgungssicherheit gefährdet. Hier geht´s zur umfangreichen Presseschau zur Kundgebung.

 

Quelle: Der Kongress für Pflege in Deutschland - Deutscher Pflegetag (deutscher-pflegetag.de)

Ein besonderes Ereignis im August war die Teilnahme von #PflegeJetztBerlin am Deutschen Pflegetag 2022. Nicht nur ein Info-Stand in der Start-Up Area, auch ein Auftritt auf der HotSpot Bühne 2 gemeinsam mit Frau Juliane Blume vom Landespflegerat Berlin-Brandenburg, um die Kampagnenarbeit vorzustellen, waren DAS Highlight. Hier geht´s zu den Eindrücken und zum Lifestream des Auftritts.

 

Ausblick

Nicht verpassen: Im November widmen wir uns einem sehr bedeutenden Thema. Die BKG und #PflegeJetztBerlin unterstützen als Mitunterzeichnerin die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. Am 18. November 2022 findet das 5. Berliner Hospizforum des Hospiz- und Palliativ Verbands Berlin e.V. statt. Neben interessanten Fachvorträgen bietet sich zu diesem Anlass der Rahmen zur Unterzeichnung der Charta durch sieben weitere Mitgliedskrankenhäuser der BKG.

 

 

 

 

Literatur:

 

Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2022): Gesundheitspersonal nach Altersgruppen 2020. Berlin: o. V. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitspersonal/_inhalt.html, Zugriff: 05.10.2022

Bujard, M.; Panova, R. (2014): Rushhour des Lebens. In: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (Hrsg.). Dossier Familienpolitik. Bonn: o. V. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/themen/familie/familienpolitik/197927/rushhour-des-lebens/?p=all, Zugriff: 05.10.2022

Bund Verlag (2022): Work-Life-Balance. Neues Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Frankfurt am Main: Bund-Verlag. Online verfügbar unter: https://www.bund-verlag.de/aktuelles~Neues-Gesetz-zur-Vereinbarkeit-von-Familie-Pflege-und-Beruf~.html. Zugriff: 05.10.2022

Bundesamt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2022): Erfolgsfaktor Familie. Berlin: o. V. Online verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familie-und-arbeitswelt/erfolgsfaktor-familie/erfolgsfaktor-familie-74646. Zugriff: 06.10.2022

Deutscher Bundestag (2006): Siebter Familienbericht. Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik. Berlin: Deutscher Bundestag. Online verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/76276/40b5b103e693dacd4c014648d906aa99/7-familienbericht-data.pdf, Zugriff: 05.10.2022

Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) (2022): Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Krankenhäuser sind ein attraktiver Arbeitgeber. Berlin: o. V. Online verfügbar unter: https://www.dkgev.de/themen/personal-weiterbildung/vereinbarkeit-von-beruf-und-familie/. Zugriff: 06.10.2022

Gerlach, I.; Schneider, H. (2012): Vorwort. In: Betriebliche Familienpolitik. Kontexte, Messungen und Effekte. Bochum, Berlin: Springer, S. 9 – 10

 

Verfasserin: Juliane Ghadjar, Berliner Krankenhausgesellschaft e. V., Kampagnenkoordinatorin #PflegeJetztBerlin

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