Mit dem Projekt 360° Pflege gefördert von der Robert Bosch Stiftung konnte am Universitätsklinikum Münster erprobt werden, wie ein bedarfsorientierter Qualifikationsmix in der onkologisch-hämatologischen Versorgung aussehen kann. Ziel dieses Praxisentwicklungsprojektes war, die vielfältigen Kompetenzen von Pflegefachpersonen, Fachpflegepersonen und akademisch qualifizierten Pflegefachpersonen (MSc, BSc) besser aufeinander abzustimmen und patientenzentriert einzusetzen.
Auf der Pilotstation 11 Ost wurden basierend auf Fallanalysen von Patient:innen partizipativ neue Rollenprofile entwickelt und eingeführt: u. a. die Rolle des Pflegeexperten Advanced Practice Nurse (APN), Bachelor in klinischer Pflege sowie prozessbegleitende onkologische Fachpflegepersonen. Supervision und Coachings unterstützten den Wandel.
Die Umsetzung des Praxisentwicklungsprojektes und die damit verbundene partizipative Einführung der erweiterten pflegefachlichen Rollen führte im Team zu mehr Sensibilität für patientenrelevante Themen und stärkte das Selbstverständnis der Pflegefachpersonen. Im Rahmen der Evaluation äußerten verschiedene Beteiligte Gefühle von Stolz und Zufriedenheit, da sie durch ihre aktive Mitwirkung zu einer spürbaren Verbesserung der Versorgungsqualität sowie der Begleitung von Patient:innen und deren Angehörigen beitragen konnten. Patient:innen profitieren seither von einer kontinuierlicheren Begleitung, umfassenderer Information und gezielteren, evidence-basierten pflegerischen Interventionen. Eine Optimierung der Versorgungssituation zeigt sich insbesondere bei den Sarkompatient:innen, die nun von dem Pflegeexperten APN über den gesamten Krankheitsprozess betreut werden.
Für das Team eröffnet der Qualifikationsmix die Möglichkeit, vorhandene Kompetenzen sichtbarer zu machen und Wissen praxisnah einzubringen – etwa durch Kurzschulungen oder projektorientierte Initiativen. Darüber hinaus konnte auch die interprofessionelle Zusammenarbeit, insbesondere mit der Physiotherapie, Ernährungstherapie und den Ärzt*innen, spürbar gestärkt werden.
Gleichzeitig spiegelte sich in den Ergebnissen aber auch, dass ein Gelingen der erweiterten Rollen in Abhängigkeit zu zeitlichen Ressourcen stand: Während die akademisch qualifizierten Rollen – Pflegeexperten APN und Bachelor in klinischer Pflege – über zeitliche Ressourcen zur Ausübung ihrer erweiterten Tätigkeiten (z. B. evidenzbasierte Praxisentwicklung sowie Fach- und Disziplinentwicklung) verfügen, war es für die prozessbegleitenden onkologischen Fachpflegepersonen vorgesehen, ihre zusätzlichen Aufgaben im Bereich der Prozesskoordination spezifischer Patient:innengruppen in den regulären Arbeitsalltag zu integrieren. Es wurden unterschiedliche Ansätze erprobt; letztlich zeigte sich jedoch, dass sich eine tragfähige Lösung in diesem Bereich nur schwer realisieren lässt. Dies spiegelte sich auch in der Evaluation wider: Die ungleiche Verteilung zeitlicher Ressourcen zwischen akademisch qualifizierten und fachweitergebildeten Pflegefachpersonen wurde von den Beteiligten teils als Ausdruck ungleicher Wertschätzung wahrgenommen.
Unser Fazit für die Zukunft: Es bedarf realistischer Ressourcenzuweisung, enge Zusammenarbeit mit den Stationsleitungsteams und der Pflegedienstleitung, konsequente Orientierung an den Bedarfen der Patient:innen und deren Angehörigen im Krankheitsverlauf sowie eine funktionierende interprofessionelle Zusammenarbeit, damit ein patientenorientierter Qualifikationsmix dauerhaft Wirkung entfalten kann. Die Entwicklung weiterer hämato- und onkologischen Stationen untermauern dieses: Seit Abschluss des beschriebenen Projektes sind kontinuierlich weitere Pflegeexpert*innen APNs (Onkologie und KMT) und Bachelor in klinischer Pflege aufgebaut worden. Zudem wird die Pflegeberatung durch onkologische Fachpflegepersonen UKM weit weiter ausgebaut.
Und diese Entwicklungen zeigen sich nicht nur in der Hämoto-Onkologie, sondern in unterschiedlichsten Klinikbereichen am UKM – Eine Entwicklung aus unserer Sicht, die eindeutig für den Qualifikationsmix in der Pflege spricht! Das Projekt 360° Pflege zeigt: Pflegequalität steigt, wenn unterschiedliche Kompetenzen gezielt zusammenwirken – und wenn Teams die Chance haben, ihre Rollen gemeinsam weiterzuentwickeln.
Diese Themen wurden auch in Podcasts aufgegriffen:
Im Namen des Projektleitungsteam: Nina Kolbe (Leitung Stabsstelle Pflegewissenschaft),Julian Börste (Stationsleitung)
Artikel- und Bildrechte: Universitätsklinikum Münster (UKM), Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude W30, 48149 Münster