Die „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ – Instrument zur höheren Impfquote oder Motor der Fluktuation?

Bist Du? Oder sind Sie es nicht? Geimpft, oder nicht? Diese Frage wird mit der Einführung der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ den Beschäftigten in den Gesundheitseinrichtungen nun in den kommenden Wochen gestellt werden. Sind die Mitarbeitenden noch nicht gegen Covid-19 vakziniert, sind sie nach dem 15. März an die Gesundheitsämter zu melden. Diese, so die Idee des Gesetzgebers, sollen die betroffenen Personen anhören und schließlich entscheiden, ob ein Betretungs- oder Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird.

Die mit recht heißer Nadel gestrickte Anweisung des Gesetzgebers bedeutet für die Beteiligten gleich in mehrerer Hinsicht ziemlich knifflige Herausforderungen. Da wären zunächst die Gesundheitsämter und ihre Amtsärzte. Diese melden aktuell wegen der gigantisch hohen Zahl an Neuinfektionen in der Omikron-Welle ohnehin schon „Land unter“. Eine unmittelbare, nennenswerte Aufstockung des Personals der Gesundheitsämter ist für Berlin nicht in Sicht. Es stellt sich daher die Frage, wie die Erfassung jedes Einzelfalls, die Durchführung einer Anhörung (inklusive Terminierung, Ladung, Anhörung selbst, gerichtsfeste Dokumentation derselben, Ausübung des Ermessens sowie Erlass, Ausfertigung und Zustellung des finalen Bescheids), die Anforderungen durch sich möglicherweise anschließende Gerichtsverfahren (in vielleicht zwei Instanzen?), durchgeführt werden sollen. Allein für Berlin sind mehrere Tausend Meldungen ungeimpfter Mitarbeiter/-innen von Gesundheitseinrichtungen zu erwarten. Aktuell, gut vier Wochen vor dem geplanten Inkrafttreten der Regelung, ist noch nicht einmal klar, auf welchem Weg welche Daten an wen zur Komplettierung der Meldung versendet werden müssen. Geschweige denn, dass sich eine bezirks- oder bundesländerübergreifend einheitliche Durchführung der Verfahren oder Ausübung des der Entscheidung vorausgehenden Ermessens, zurzeit absehen lässt.

Für die Gesundheitseinrichtungen und ihre Beschäftigten stellen sich ebenso noch zahlreiche Probleme. Da ist zum einen die Zumutung für Arbeitgeber, ihre eigenen Beschäftigen an Ämter melden zu müssen, wenn diese ungeimpft sind. Hier stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber nicht ein Meldewesen hätte nutzen können, welches das Vertrauensverhältnis vor Ort weniger unter Druck setzt. Dürfen ungeimpfte Beschäftigte bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens weiterbeschäftigt werden? Wenn ja, wie und wo? Was passiert, wenn in dieser Zeit etwas passiert? Wie viele Beschäftigte werden ihren Arbeitsplatz wegen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht verlassen? Kann das die Versorgungssicherheit gefährden? An den Antworten hierauf arbeiten Träger, Verbände sowie Politik und Verwaltung mit Hochdruck.

Dabei kommt nun zusätzliche Dynamik in die gesellschaftliche Debatte um Sinn und Rechtfertigung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Eine zunehmende Zahl verantwortlicher Akteure von der Orts- bis zur Bundesebene, stellen die Durchsetzung des Gesetzes offen in Frage. Die praktische Undurchführbarkeit einer gesetzlichen Vorgabe als „Aus“ für dieselbe? Das wirft nicht nur grundsätzliche Fragen nach der Resilienz des Rechtsstaats auf. Es verunsichert auch – wenige Tage vor der „Scharfschaltung“ – die von der Impfpflicht betroffenen Einrichtungen und Beschäftigten. Sie brauchen Klarheit und Sicherheit für das, was kommt: Eine bezirksübergreifend einheitliche Umsetzung der gesetzlich normierten Prozesse, Gewissheit über die Folgen von Meldung und Verwaltungsentscheidung sowie ausreichend Zeit, um die Organisation und die zu erwartenden betriebsinternen Diskussionen vorzubereiten, müssen nun schnell angegangen werden. Sonst droht Wirrwarr, in welchem weitere wertvolle Mitarbeiter/-innen verloren gehen, auch ohne behördliche Entscheidung. Ein Zustand, den wir uns bei dem Fachkräftemangel in der Pflege nicht erlauben können. Die Kliniken und Pflegeeinrichtungen erwarten Lösungen.

Freundliche Grüße

Marc Schreiner

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