Pflege zwischen Bermuda-Dreieck und Tornado

Sehr geehrte Damen und Herren,

pünktlich zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause konkretisiert der Bundesgesundheitsminister nun seine Überlegungen zu einem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStabG) und zur Einführung der Pflegepersonalbemessung PPR 2.0. Beide Initiativen haben damit gute Chancen, im Laufe des Sommers bereits außer- und vorparlamentarisch intensiv diskutiert zu werden, bevor sich dann im Herbst der Bundestag damit befassen könnte.

Wohlbemerkt „könnte“. Denn für das GKV-FinStabG liegt noch nicht einmal ein Kabinettsentwurf vor. Mit dem aus der laufenden Ressortabstimmung berichteten „Diskussionsbedarf“ aus dem Bundesfinanzministerium ist noch nicht klar, wie die drohende Finanzierungslücke der GKV in Höhe von 17 Milliarden Euro gedeckt werden soll. Doch der vom Bundesgesundheitsminister erarbeitete Entwurf erntet auch von vielen anderen Seiten teils heftige Kritik.

So sollen im Bereich Krankenhaus beispielsweise die gerade erst ausgegliederten Pflegepersonalbudgets um „sonstiges Personal“ ohne klassische Pflegeausbildung bereinigt werden. Das bedeutet, dass etwa Kosten für Physio- und Ergotherapeuten/-innen oder Hebammen wieder in die DRGs zurückgeführt werden sollen. Zusätzlich fabuliert der Entwurf von Überbezahlung der Pflegekosten und stellt eine Normierung um rund 415 Millionen Euro in Aussicht. Personalkosten würden sich mit einem solchen Ansatz nicht mehr decken lassen und Entlassungen könnten drohen. Damit nimmt der Minister in Kauf, dass noch mehr Arbeit an den Pflegefachkräften hängen bleibt. Da würden auch keine noch so vielen Pflegeboni helfen, die man überlasteten Pflegekräften dann wieder auszahlen könnte.

Ebenso lediglich im frühen Status von „Eckpunkten“ befinden sich die Überlegungen zur Einführung des vom Pflegerat, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und von ver.di entwickelten neuen Personalbemessungsinstruments PPR 2.0. Dieses soll – so das gerade vorgelegte Papier - in den Jahren 2023 und 2024 erprobt, evaluiert und aufgebaut werden. Ab 2025 wären dann bei flächendeckender Anwendung sogar Sanktionen denkbar. Neben der berechtigten Kritik zu technischen und logischen Fragen der Eckpunkte fehlt hier ganz klar das politische Bekenntnis: Ohne eine enorme Kraftanstrengung der Politik und der beteiligten Akteure, mehr Pflegekräfte zu gewinnen, wird die gut gemeinte Pflegepersonalbemessung ins Leere laufen. Zur Personalgewinnung sagen die Eckpunkte indes nichts.

„Nichts“ (belastbares) sagt der Bundesgesundheitsminister auch zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser. Weder hat er die Krankenhäuser vom völlig unberechtigten Zwei-Prozent-Abzug bei den Ganzjahreserlösausgleichen befreit, noch liegt ein Konzept zur Finanzierung der Lasten einer neuen, von ihm selbst für Herbst dieses Jahres erwarteten Corona-Welle vor. Auch Maßnahmen zur Abfederung der explodierenden Kosten - etwa durch Inflationszuschlag und Basisberichtigung im Jahr 2022 als Verhandlungsgrundlage für die Landesbasisfallwerte 2023 – werden zwar dringend erwartet. Sie sind noch nicht mal von ihm angekündigt worden. Den Krankenhäusern und ihren Beschäftigten drohen damit schwere Zeiten.

Sehr wohl aber sprach Bundesminister Karl Lauterbach bislang immer von einem ominösen, seine gesetzlichen Gestaltungsspielräume limitierenden „Dreieck“ aus Parametern wie Sozialbeitragsdeckelung, Schuldenbremse und Finanzierungslücke der GKV. Es scheint nun, als ob in diesem politischen „Bermuda-Dreieck“ auch Ziele wie Pflegestärkung oder die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser wie von Geisterhand verschwinden. Es hätte damit Potential, zu einem politischen Tornado zu werden.

Freundliche Grüße

Marc Schreiner

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