Wie die Charité dem Paradigmenwechsel in der Pflege durch eigens entwickelte Studiengänge begegnet

Demographischer Wandel, medizinisch-technischer, sowie pflegewissenschaftlicher Fortschritt und die ethische und gesetzliche Verpflichtung zur evidenz-basierten Praxis werden in erster Linie genannt, um die Notwendigkeit der Akademisierung des Pflegeberufs zu begründen (Darmann-Finck & Reuschenbach, 2018). Diese gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen mündeten zuletzt im Pflegeberufereformgesetz von 2017, das grundständige Pflegestudiengänge ermöglicht.

Wenngleich Deutschland im internationalen Vergleich verspätet in die Akademisierung der Pflege eingestiegen ist, scheint diese Entwicklung in Anbetracht der stetig wachsenden Komplexität dennoch folgerichtig, um in der Zukunft die bestmögliche Versorgung aller pflegebedürftigen Personen sicherstellen zu können.

Trotz dieses Paradigmenwechsels vom ärztlichen Hilfsberuf hin zur Profession, die ihren Wissenskorpus selbstständig erschließt und erweitert, muss jedoch festgestellt werden, dass weiterhin über 95% der Pflegenden in Universitätskliniken keinen akademischen Abschluss tragen (Bergjan et al., 2021). Nicht zuletzt gilt es für die Krankenhäuser, um die Akademisierung voranzutreiben, zu zwei Schwerpunkten Position zu beziehen: einerseits sollten die Zugänge zu hochschulischer Qualifikation niederschwellig ermöglicht werden. Anderseits gilt es entsprechende Handlungsfelder für die Absolvent:innen zu erschließen (Baumann & Kugler, 2018).

Die Gestaltung des Wandels am Beispiel der Charité Universitätsmedizin Berlin

Besonders in Universitätskliniken ist der Spezialisierungsgrad der einzelnen Fachabteilungen sehr ausgeprägt. In der Folge erscheint das Instrumentarium 3-jährig ausgebildeter Pflegefachpersonen nicht immer ausreichend, um spezifische Probleme und Ressourcen der komplexen Patient:innengruppen holistisch zu erfassen. Üblicherweise wurden für diese Bereiche deswegen Fachweiterbildungen angeboten. Diese treten an der Charité zunehmend zugunsten der Studiengänge „Erweiterte klinische Pflege“ an der Akkon Hochschule für Sozialwissenschaften in den Hintergrund. Seit 2017, beginnend mit Anästhesie und Intensivpflege, qualifizieren sich Pflegende hier in mittlerweile sechs Richtungen akademisch (Wortha-Hoyer, 2018). Diese Abschlüsse sind von der Deutschen Krankenhausgesellschaft anerkannt und den Fachweiterbildungen gleichgestellt, beinhalten aber eben die wichtigen Punkte der evidenzbasierten Pflege und des Theorie-Praxistransfers, die allenthalben eingefordert werden (Meyer et al., 2013). Um den Zugang zu den Studiengängen niederschwellig zu gestalten, wurde ein Charité-internes Stipendiensystem entwickelt, sowie Studientage in Arbeitszeit bereitgestellt. Damit wird das Studium berufsintegrierend ermöglicht.

Darüber hinaus wurde an der Charité, ein grundständiger Pflegestudiengang im 2019 geschaffenen Institut für klinische Pflegeforschung entwickelt und startete im Wintersemester 2020/21 mit 40 Studierenden. Das Studium erstreckt sich über 7 Semester und schließt sowohl mit dem akademischen Grad Bachelor of Science (B. Sc.) als auch mit der staatlichen Berufszulassung im Gesundheitsfachberuf „Pflegefachmann/Pflegefachfrau“ ab. Neben Vorlesungen besuchen die Studierenden den Lernort „Skillslab“. Während der Praxisphasen in der Charité – Universitätsmedizin, sowie in deren edukativen und erweiterten Einsatzfeldern der Pflege können die Studierenden ihre zuvor theoretisch und praktisch erworbenen Fertig- und Fähigkeiten am klinischen Arbeitsplatz vertiefen.

Handlungsfelder und Rolle akademisierter Pflegender an der Charité

Der wichtigste Schritt für die Organisation ist die Gestaltung von Rollen für akademisierte Pflegende im multiprofessionellen Versorgungskontext, die sowohl Skills und Grades berücksichtigen, als auch die kontextspezifischen Besonderheiten der Bereiche und die klar an den Bedarfen und Bedürfnissen der zu versorgenden Patient:innen orientiert sind (Barandun Schäfer et al., 2011). An der Charité werden, basierend auf den Daten der quantitativen Qualitätssicherung über Kennzahlen zu Pflegephänomen (etwa Sturz- und Dekubitushäufigkeiten) aber auch qualitativer Daten, wie Pflegevisiten, Versorgungsherausforderungen identifiziert. Basierend auf diesen Ergebnissen einerseits und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, der externen Evidenz andererseits, sind bereichsbezogene Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. In all diesen Schritten bieten sich Rollen für akademisierte Pflegefachpersonen, die hier gemeinsam mit dem Qualitätsmanagement und dem Pflegemanagement auf eine evidenz-basierte Versorgung hinwirken.

Fazit

Die Gestaltung des Paradigmenwechsels der Profession Pflege dauert an und wird uns auch die kommenden Jahrzehnte beschäftigen. Die Charité hat sich zukunftsgewandt auf den Weg gemacht, durch eine multifaktorielle Strategie, das übergeordnete Ziel, die bestmögliche Patient:innenversorgung zu erreichen. Von besonderer Bedeutung ist die Explikation des Fachwissens der erfahrenen Pflegefachpersonen um der neuen Generation alle Möglichkeiten zu geben, davon zu profitieren. Wird dieses Wissen mit der externen Evidenz, die von akademisierten Pflegefachpersonen erschlossen werden kann, verzahnt, profitieren unsere Patient:innen in höchstem Maße von dieser modernen Interpretation der Pflege.

Literatur

Barandun Schäfer, U., Hirsbrunner, T., Jäger, S., Näf, E., Römmich, S., & Horlacher, K. (2011). Pflegeentwicklung der Solothurner Spitäler. Unterwegs zu klinisch orientierter Pflegeexpertise und Praxisentwicklung. Pflege, 24(1), 7-14. https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000086

Baumann, A.-L., & Kugler, C. (2018). Berufsperspektiven von Absolventinnen und Absolventen grundständig qualifizierender Pflegestudiengänge − Ergebnisse einer bundesweiten Verbleibstudie. Pflege, 32(1), 7-16. https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000651

Bergjan, M., Tannen, A., Mai, T., Feuchtinger, J., Luboeinski, J., Bauer, J., Fischer, U., & Kocks, A. (2021). Einbindung von Pflegefachpersonen mit Hochschulabschlüssen an deutschen Universitätskliniken: ein Follow-up-Survey. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 163, 47-56. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.zefq.2021.04.001

Darmann-Finck, I., & Reuschenbach, B. (2018). Qualität und Qualifikation: Schwerpunkt Akademisierung der Pflege. In K. Jacobs, A. Kuhlmey, S. Greß, J. Klauber, & A. Schwinger (Eds.), Pflege-Report 2018: Qualität in der Pflege (pp. 163-170). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56822-4_15

Meyer, G., Balzer, K., & Köpke, S. (2013). Evidenzbasierte Pflegepraxis–Diskussionsbeitrag zum Status quo. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 107(1), 30-35. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.zefq.2012.12.001

Wortha-Hoyer, J. (2018). Ganz neu aufgestellt. intensiv, 26(02), 65-69.

Florian Bürger & Julia Runge

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