Die Berliner Krankenhausgesellschaft spricht im Interview mit Prof. Dr. Thun, Direktorin der Core Unit E-Health & Interoperability des Berlin Institute of Health der Charité, über das KHZG, den DigtalRadar und die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Pflegeberuf.

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) investieren Bund und Länder 4,3 Mrd. Euro in die digitale Infrastruktur der Krankenhäuser. Berliner Krankenhäuser erhalten 220 Mio. Euro. Das Gesetz sieht begleitend eine Analyse des Standes der Digitalisierung in Krankenhäusern vor. Die Effekte des Zukunftsfonds auf den Digitalisierungsgrad, auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie auf die regionalen Versorgungsstrukturen sollen durch den „DigitalRadar“ bewertet werden.

Das Projekt „DigitalRadar“ wird geleitet von Prof. Dr. med. Sylvia Thun, Direktorin für E-Health und Interoperabilität am Berlin Institute of Health der Charité Universitätsmedizin Berlin und Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesundheitswesen an der Hochschule Niederrhein. Ein Expertengremium mit Vertreterinnen und Vertretern von Krankenhäusern sowie von Krankenkassen, Anwendern, Wissenschaft und Industrie unterstützt das Projekt.

DigitalRadar und Krankenhauszukunftsgesetz

BKG: Das Bundesministerium für Gesundheit beauftragt den "DigitalRadar" mit der Analyse und Bewertung des digitalen Reifegrades der Krankenhäuser. Wie schätzen Sie die Gestaltungsempfehlungen ein, die Krankenhäuser dadurch erhalten können und welche Chancen birgt der „DigitalRadar“ für eine breitere, internationale Positionierung und bessere Vernetzung des deutschen Gesundheitswesens?

Der DigitalRadar erlaubt nationale und internationale Benchmarks zwischen Krankenhäusern. Es ist dadurch erstmals möglich, den Digitalisierungsgrad zu ermitteln und sich untereinander zu messen und voneinander zu lernen. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind groß: Der Gesetzgeber lässt offen, für welche Schwerpunkte sich ein Krankenhaus entscheidet und welche neuen Systeme es einführt bzw. interoperabel vernetzt. Durch die Vorgaben für die Schnittstellen (HL7 FHIR/ DICOM) ist auch ein einrichtungsübergreifender Datenaustausch möglich, sofern der Patient zustimmt.

Die Bundesländer wie auch das Land Berlin sind ihrer Pflicht bei der Bereitstellung von Investitionsmitteln seit Langem nicht nachkommen. Zuletzt gab es im Berliner Doppelhaushalt einen guten Zuwachs. Ausreichend sind die Investitionsmittel für Krankenhäuser auch in Berlin dennoch nicht. Was bedeutet der Investitionsschub durch das KHZG für den Stand der Digitalisierung in den Krankenhäusern und wie lassen sich Erfolge standardisiert messen, so dass eine fundierte Evaluation der eingesetzten Mittel gegenüber der tatsächlichen Innovationskraft einer Maßnahme ermittelt werden kann?

Etablierte Methoden der Reifegradmessung, wie etwa EMRAM (Electronic Medical Records Adoption Model) oder Kit-Con der AG IT-Controlling der Universitätsklinika Erlangen, Göttingen, Jena und Münster sowie der Klinikverbünde Asklepios und Vivantes sind zusammen mit den Anforderungen des Krankenhauszukunftsgesetzes des BMG die Grundlage für die Modellentwicklung. Diese langjährige und weltweite Erfahrung nutzen wir für die Messung des Digitalisierungsgrades, so dass Erfolge aufgrund einer wissenschaftlichen Evaluation messbar sind.

IT-Standardisierung und Auftragsdatenverarbeitung

Der digitale Impfpass arbeitet mit einem Datensatz, der europäisch lesbar ist, womit wir beim Thema Interoperabilität wären. Sie arbeiten daran, Daten kompatibel zu machen, so dass sie von verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen genutzt werden können. Wir sehen in der Versorgungsrealität zurzeit allerdings noch wenig sektorenübergreifenden Datenaustausch. Geht es in Ihrer Arbeit an Interoperabilität und IT-Standardisierung vor allem um einen Mehrwert für Patientinnen und Patienten oder um Verbesserung der Forschung?

Die Interoperabilität ist kein Selbstzweck. Es geht den Entwicklern der weltweiten Standards um die Verbesserung von der Patientenbehandlung und die Etablierung besserer Softwaresysteme mit interoperablen Workflows. Da die bessere Patientenbehandlung auf einer exzellenten Forschung beruht, ist das Forschungsdatenmanagement ebenso wichtig wie die smarte Datenerhebung in der Versorgung in IT-Systemen für das Öffentliche Gesundheitswesen, z. B. Meldesystemen oder medizinischen Registern.

In Berlin wurden zuletzt landesrechtliche Normen so angepasst, dass die Auftragsdatenverarbeitung für die Berliner Krankenhäuser auch mit externen Dienstleistern professionell und sicher durchführbar ist – allerdings nur für einen befristeten Zeitraum. Es besteht die Gefahr, dass den Kliniken bald wieder die Anwendung moderner, cloud-basierter Technologien und der Einsatz innovativer Medizinprodukte erschwert wird. Wie schätzen Sie das Thema Datenschutz contra Ermöglichung der professionellen Verarbeitung von Daten ein?

Die Forschung ist unter denen in Europa herrschenden Regularien (DSGVO) hervorragend möglich. Eine Interpretation von geltenden Vorgaben, die eine Forschung mit Gesundheitsdaten nicht adäquat zulassen, ist m. E. unethisch.

Potenzial der Digitalisierung auf die Pfege

In der Pflege sollen digitale Lösungen die Situation des Fachkräftemangels in den Kliniken verbessern. Bereits heute werden sie zur Dokumentation, Informationsverarbeitung und Kommunikation eingesetzt. Gerade auch Prozesse wie die Dienstplanung oder das Patientenmanagement können optimiert werden. Welche Auswirkungen werden Ihres Erachtens der Einsatz dieser Technologien in den nächsten Jahren haben, hinsichtlich Organisation, Berufsbild und Selbstverständnis der Pflege?

Die Pflege ist ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil des Gesundheitswesens. Da diese Berufsgruppe vornehmlich am Patienten arbeitet, kennen diese die Patient:innen besonders gut und dokumentieren die ATL, Medikationseinnahmen und Vitalparameter. Die Digitalisierung kann den administrativen Bereich unterstützen (u. a. Personaleinsatzplanung, Routenplanung), aber auch wichtige medizinische Sachverhalte kommunizieren. Der Pflegebericht ist in Planung und eine Einführung ist in Kürze zu erwarten.

Oft werden zum Beispiel Arbeitsintensität und Zeitnot als Probleme in der Pflege genannt. Diese führen auch zu einem frühen Austritt aus dem Beruf. Können sogenannte „assistierende“ Techniken auch zum Gesundheitsschutz der Pflegekräfte selbst eingesetzt werden? Haben diese das Potenzial, die Situation der Pflegekräfte selbst zu verbessern?

Ob die Digitalisierung und Robotik die Pflegekräfte entlastet, wird derzeit untersucht. Erst einmal erscheint die Dokumentation als Last und nicht als Unterstützung, da sie nur für die Abrechnung relevant sind. Sobald die Softwaresysteme sich aber den Prozessen anpassen und den Menschen (Patient:innen wie auch Mitarbeiter:innen) in den Fokus rücken, können digitale Lösungen wertvolle Helfer werden.

Interoperabilität und elektronische Dokumentation

Beim Thema Interoperabilität und Generierung von Daten ist es besonders wichtig, auch Pflegekräfte mitzunehmen. Wie müsste eine adäquate Aus- oder Weiterbildung für Pflegekräfte (und Ärzte) in digitalen Technologien aussehen?

Es gibt bereits gute Online-Angebote für Therapeuten, Assistenzberufe und Pflegekräfte. Diese sollten ausgebaut werden und attraktiv und spielerisch gestaltet werden.

Konkret zu den sich entwickelnden Kompetenzen: Kann elektronische Dokumentation das evidenzbasierte Handeln der Pflegekräfte verbessern und damit die Qualität der Pflege erhöhen? Und ist es vorstellbar, dass Pflegekräfte möglicherweise unter telemedizinischer Leitung teilweise medizinische Versorgung und somit zusätzliche Aufgaben übernehmen?

Die Qualität jeglicher Berufsgruppe kann durch digitale Technologien erhöht werden, sofern diese Systeme klug programmiert und eingeführt werden und den Anforderungen gerecht werden. Gerade in der Medizin liegt so viel Potential brach, da das Wissen der Welt nicht entsprechend genutzt wird.

Zuletzt ein Blick in die Zukunft: Wo wird Pflege mithilfe von Digitalisierung 2030 stehen?

2030 ist schon ‚morgen‘. Sofern sich die Pflege in die Digitalisierung einbringt, wird sich Innovation und Wissen erhöhen.

Das Interview führte Barbara Ogrinz.

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