Interview mit zwei Pflegeexpertinnen in der Schweiz zu Qualität in der Pflege

Welche Bedeutung kommt den Pflegeexpertinnen am Kantonsspital Olten bei der Umsetzung der Qualität in der Pflege zu?

Pflegeexpertinnen Solothurner Spitäler AG, Kantonsspital Olten (KSO)

Welche Bedeutung hat Qualität in der Pflege für Euch?

Advanced Practice Nurse 1 (APN 1): „Qualität hat eine große Bedeutung für die Pflege - das sind wir unseren Patienten gegenüber schuldig, sodass wir in Zukunft auch eine evidenzbasierte Pflege leisten können. Natürlich ist der Wille des Patienten bei dem Ganzen entscheidend. Und auch bei uns ist Qualität nicht immer einfach zum Umsetzen. Es gibt gewisse Sachen, die an Qualität gebunden sind, wie die Personalsituation, Fluktuation usw… Dies hat eine Auswirkung auf die Qualität. In Qualität muss man investieren, es kostet etwas, aber grundsätzlich kann man auch Geld sparen, wenn man eine gute Qualität leisten kann, sodass es weniger Komplikationen gibt.“

Wie funktioniert das Konzept und der Einsatz von Pflegeexperten/-innen und Fachexperten/-innen am KSO?

Advanced Practice Nurse 1 (APN 2): „Die Pflegeexpertinnen haben einen übergeordneten Einsatz. Sie betreuen mehrere Stationen oder mehrere Gebiete oder Standorte oder sogar Kliniken. Wir erarbeiten übergeordnete Konzepte und Projekte und sind trotzdem ab und zu im klinischen Einsatz auf der Station, auf der wir eingeteilt wurden. Dort machen wir dann Coachings, Weiterbildungen und wirken in der Pflege bei komplexen Patientensituationen mit. Wir arbeiten sehr stark nach dem Hamric-Modell. In diesem Modell wurden die APN-Kompetenzen (Anm. des Verf.: APN = Advanced Nursing Practice) festgelegt und diese sind international anerkannt. Das beinhaltet direkte klinische Tätigkeit, Coaching, Beratung, Entscheidungsfindung, Forschung, evidenzbasierte Pflege, Leadership... Man kann das eigentlich recht gut umsetzen im Alltag. Ansonsten sind wir natürlich auch für Qualität zuständig.

Die Fachexpertinnen sind der Station angegliedert. Es gibt eine (manchmal zwei) Fachexpertin(nen) pro Station. Sie arbeiten auch im Schichtbetrieb, das machen wir nicht. Die Fachexpertinnen setzen gemeinsam mit uns Qualitätsthemen auf der Station um. Sie haben ein Controlling und schulen ihr Team bspw. beim Einführen neuer Themen etc.“

Wie viele gibt es von Euch im Spital? Wie seid Ihr personell ausgestattet?

"Am Kantonsspital sind wir 3,5 Pflegeexpertinnen… an unseren vier Standorten sind wir etwa zehn. Noch vor ein paar Jahren hatten wir Pflegeexpertinnen eher einen ‚Bürojob‘. Der Wandel ist, dass wir wieder mehr in der direkten Praxis sind. Das wird auch vorausgesetzt, also mindestens 50 % von unserer Zeit in der Praxis. Wir arbeiten zwar nicht 1:1 am Bett, wie eine Dipl. Pflegefachfrau, aber wir sind vor Ort, leisten Unterstützung, pflegen manchmal einen Patienten, manchmal mehrere, was es ebenso braucht.“

Und seid Ihr dann dort zusätzlich im Stellenplan oder werdet Ihr geplant wie eine Pflegefachfrau?

APN 2: „Nein, wir sind zusätzlich. Das ist für uns auch ein gewisses Privileg, das ist nicht überall so. An anderen Orten kann es sein, dass man fix im Plan mit drinnen ist.“

Also so eine normale Station hat im Monat an wie vielen Tagen eine Pflegexpertin wie Euch zusätzlich mit dabei?

APN 2: „Schon so viermal. Auf manchen Stationen zweimal… In der Akutgeriatrie gehe ich etwa 1-2 x pro Woche auf jede Station.“

Was ist der Unterschied zwischen Pflegexperte/-in und Fachexperte/-in? Was wird vorausgesetzt?

APN 1: „Als Pflegeexpertin braucht man ein Studium in Pflegewissenschaften. Es gibt die Möglichkeit, dies an einer Fachhochschule oder an einer Universität zu studieren. Schlussendlich hat man dann einen Master in Pflegewissenschaften, was die Voraussetzung ist, um hier Pflegeexpertin sein zu können, 'Pflegeexpertin, Advanced Practice Nurse‘. Die Fachexpertinnen brauchen derzeit eine Weiterbildung. Die meisten haben ein NDS (Anm. des Verf.: NDS = Nachdiplomstudium, Äquivalent zu Fachweiterbildung in Deutschland). Aber auch hier gibt es momentan noch Diskussionen, ob es ein NDS oder einen Bachelorabschluss braucht. In der Schweiz, insbesondere in der Deutschschweiz, gibt es derzeit immer mehr Pflegende, die als Grundausbildung einen Bachelor machen.“

Welcher (Mehr-)Wert entsteht durch den Einsatz von Pflegeexperten/-innen?

APN 2: „Kurzfristig würde man wahrscheinlich nicht so viel merken. Aber längerfristig geht´s schon um Pflegequalität, die steigt. Wenn wir vor Ort sind, können wir die komplexeren Situationen übernehmen, was automatisch natürlich eine Entlastung für die Pflegenden bringt.“ Außerdem haben wir mehr Zeit und können uns somit auch mehr Zeit nehmen für Gespräche mit Patienten und mit Angehörigen, was Pflegesituationen positiv vorwärtsbringen kann. Die interdisziplinäre Vernetzung gelingt uns auch recht gut- wir können auf den Arzt auf eine andere Art und Weise zugehen. Zum Beispiel in palliativen Situationen, wenn es um Gespräche zu Entscheidungsfindungen geht, dann haben wir auch Zeit mit Angehörigen Kontakt aufzunehmen oder mit dem Heim oder mit anderen Spitälern. Wir haben ganz unterschiedliche Aufgaben, z. B. diese Woche habe ich die Ersttherapie für die Chemotherapie eines Patienten angefangen mit der Beratung und allem. Gleichzeitig konnte ich die Pflegende coachen, die das noch nicht gemacht hat.“

Werdet Ihr denn angefragt oder wie findet Ihr zu Eurer Arbeit?

APN 2: „Es ist verschieden. Wir planen fixe Tage auf den Stationen, sodss sie sich orientieren und sich untereinander besprechen können. Manchmal fragen sie oder die Stationsleitung auch direkt, ob wir vorbeikommen können. Wichtig ist, dass man für die Station sichtbar ist und fragen geht, auch wenn sie sich nicht melden.“

Wird das irgendwie gemessen oder evaluiert?

APN 2: „Diskutiert wird dieses Thema immer wieder. Es steht in unserem Dienstplan, auf welcher Station wir waren. Dort erfolgt dann die Leistungserfassung, indem wir oder die Pflegende die Zeit, die wir am Patienten aufgewendet haben, erfassen. Sicherlich wäre es mal sinnvoll, unsere Rolle zu evaluieren. Unser Konzept haben wir gerade erst überarbeitet und fertiggestellt. Die Rolle ist schon sehr im Wandel. Das zu beziffern, was wir machen, ist schon schwierig. Es gibt bereits Studien, die einen Effektnachweisen können bzw. dass das Outcome nicht schlechter war, als durch den Arzt. Das jedoch in Zahlen umzuwandeln, ist schwierig.“

Wie sieht eine normale Arbeitswoche für Euch aus?

APN 1: „Ich arbeite vier Tage in der Woche, davon plane ich mir drei Tage auf der Station ein, also sicher den Vormittag und einen Tag im Büro. Ansonsten haben wir Sitzungen, sind im Austausch, erstellen Weiterbildungen, gehen zu Teamsitzungen.... Es ist sehr unterschiedlich. Wir erarbeiten Konzepte, ich bin in einer Fachgruppe ‚Palliative Care‘, und ich leite die ‚Fachgruppe Onkologie‘ mit regelmäßigen Sitzungen. Darüber tauschen wir uns dann mit den Fachexpertinnen aus.“

Fällt Euch ein Beispiel ein, indem Ihr durch Euren Einsatz den Pflegenden und der/dem Patienten/-innen helfen und entlasten konnten?

APN 2: „Ein typisches Beispiel sind Patienten im Delir, wo ich dann schaue, was man verbessern könnte. Ich bespreche die Medikation mit den Ärzten oder eben auch nichtmedikamentöse Maßnahmen. In solchen Situationen ist es hilfreich, wenn es für das gesamte Team eine schwierige Situation ist - dann machen wir eine interdisziplinäre Fallbesprechung daraus, so dass alle voneinander profitieren können. Diese Fallbesprechung leiten wir dann.“

Greifst Du dabei auf eine Handreichung für das Delirmanagement zurück, quasi als Grundlage, die Du dann als Expertin parat hast?

APN 2: „Richtig, und diese versuchen wir dann auch weiterzuvermitteln, so dass die Ärzte wissen, dass es das überhaupt gibt. Beim nächsten Mal können sie dann bestenfalls selbst gut darauf reagieren.“

APN 1: „Letzte Woche kam eine neurochirurgische Patientin aus einem anderen Spital, was im Umgang mit den vielen Kopf-OPs zu Unsicherheiten im Team führte. Es gab einige Wissensdefizite. So habe ich Kontakt mit dem Behandlungsteam im vorherigen Spital aufgenommen und dies in der Pflegeplanung angepasst. Ich war beim Gespräch mit ihren Angehörigen dabei. Das sind diese Dinge, wo wir die Pflege entlasten können, da sie zum Herumtelefonieren wenig Zeit haben. Wir wollen einfach, dass die korrekte Pflege in unserem Rahmen gewährleistet werden kann.“

Die Schweiz hat, bezogen auf die Qualität in der Pflege, im internationalen Vergleich generell eine Vorbildfunktion. Was macht Eurer Meinung nach die Qualität in der Pflege in der Schweiz so besonders?

APN 1: „Wir haben uns generell gefragt, ob die Qualität in der Pflege in der Schweiz so viel höher ist, denn in der Professionalisierung der Pflege sind wir ja auch noch nicht so weit. Was in der Schweiz sicher gut ist, ist, dass wir eine sehr gute ‚Pflegende pro Kopf-Ratio‘ haben und wir dadurch eine ganzheitliche Pflege gewährleisten und den Patienten umfassend umsorgen können. Wir können uns Zeit nehmen für Gespräche. Das ist das, was Qualität bei uns ausmacht. Wir wissen, dass man z. B. in England in unserer Rolle viel mehr machen kann.“

Also sagt Ihr, dass die Personalausstattung ein wesentlicher Faktor ist, der die Qualität in der Pflege ausmacht?

APN 1: „Ja, das ganz sicher. Wir betrachten in unserer Leistungserfassung, wie viel Zeit wir für was aufgewendet haben.“

Welche Faktoren haben negative Auswirkungen auf die Qualität in der Pflege?

APN 1: „Personalmangel, eine hohe Fluktuation, wenn finanzielle Ressourcen fehlen. Außerdem Kultur und Haltung eines Teams, die interprofessionelle Zusammenarbeit und die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegenden ist auch entscheidend.“

Was können Krankenhäuser/Spitäler, Führungskräfte und Pflegende tun, um die Qualität in der Pflege zu verbessern?

APN 1: „Das Personal einzustellen, ist manchmal nicht so einfach. In das Personal, das da ist, muss investiert werden. Es braucht Anreize, dass die auch bleiben. Es braucht flexible Arbeitszeitmodelle, z. B. dass man sich (als Mutter) Tage und Dienste wünschen kann, an denen man arbeitet, das Arbeitspensum reduzieren kann etc. Es braucht ein Entgegenkommen, um eine Arbeitskraft zu erhalten.

APN 2: „Zum Thema Weiterbildungen braucht es diese gar nicht immer tagelang, sondern es wäre gut einfach zwischendurch mal Kurzweiterbildungen einzuräumen (30Minuten), um neue Richtlinien besprechen etc."

APN 1: „Wir sind außerdem für eine sinnvolle Dokumentation, die dem Team und dem Patienten wirklich hilft und nicht nur eine Doku für die Krankenkasse ist. Eine gute Doku kann sehr unterstützend für die Qualität sein.“

Gibt es neben dem Einsatz von Pflegeexperten/-innen weitere gute Ansätze und Konzepte, die die Qualität in der Pflege steigern?

APN 1: „Es braucht das ganze Miteinander (das Team, weitere Disziplinen, die Ärzte), um eine gute Qualität zu gewährleisten.“

APN 2: „Wir arbeiten bei uns nach dem LEAN Hospital Ansatz[1].Die Idee vom LEAN ist gut: Mehr Fokus hin zum Patienten, weniger Verschwendung von Ressourcen, das Optimieren von Kommunikation, das Erkennen von hohem oder geringerem Arbeitsaufwand… Im Alltag ist das nicht immer ganz einfach umzusetzen, aber sicher ein Konzept, das hilft. Wie bei allen Sachen, muss man einfach dranbleiben und diese weiterentwickeln.“

Welche Rolle spielt die Leitung in der Qualität?

APN 1: „Ja, die Leitung spielt in der Qualität eine sehr wichtige Rolle. Wenn das nicht durch die Leitung unterstützt wird, ist nur wenig möglich.“

 


[1] Anm. d. Verf.: Das Konzept des „lean hospitals“ ist eine Projektmanagement-Methode, die Optimierungen der erforderlichen Tätigkeiten im Krankenhausbetrieb ermöglicht und jeden einzelnen Arbeitsschritt, mit der Frage nach dem Nutzen bzw. Mehrwert für den/die Patienten/-in, kritisch hinterfragt und nicht wertschöpfende Tätigkeiten vermeidet. Die Vorteile sind z. B. geringere Wartezeiten, kürzere Verweildauern, effizientere Prozesse, etc… (vgl. Stehle, F., 2022: Lean Hospital Prozessoptimierung Krankenhaus: Abläufe auf Notaufnahme, Stationen und Ambulanzen verbessern durch Lean Management Ansatz. Online: med2day.com, Zugriff: 11.07.2022)

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